Veröffentlicht: 09.05.2022
Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht: In jedem Frühjahr verlieren viele Vögel und Eichhörnchen ihren Nachwuchs, weil die Jungtiere irrtümlich ihrem Lebensraum entnommen und in Wildtierauffangstationen oder in eine Tierklinik gebracht werden. „Wenn ein junger Vogel allein auf dem Boden sitzt, scheint die Situationen vielen eindeutig zu sein: Sie denken, das Tier wurde von seinen Eltern verlassen und sammeln es wohlmeinend ein. Aber damit schaffen sie erst ein Problem“, erklärt Dr. Florian Brandes, Leiter der Wildtier- und Artenschutzstation in Sachsenhagen. Die Jungvögel sind keinesfalls verlassen. Die Elterntiere befinden sich in der Nähe, verstecken sich aber wegen der anwesenden Menschen. Während dieser sogenannten Ästlingsphase sind junge Vögel noch nicht voll flugfähig, halten sich aber, schon fast voll befiedert, bereits außerhalb ihres Nestes auf. In dieser Zeit sind die Vögel zwar tatsächlich einem erhöhten Risiko ausgesetzt, von Räubern erbeutet zu werden, dies gehört aber zum natürlichen Verhalten der Tiere.
Das Gleiche gilt für junge Eichhörnchen. Irgendwann beginnen sie, als Jungtiere ihre Umgebung zu erkunden. Auch fällt mal ein junges Eichhörnchen aus dem Nest. Dann ist aber nicht gleich der Mensch gefragt. Die Elterntiere sind in der Lage, ihre Jungen zurück in den Kobel zu holen. Professor Dr. Michael Pees, Leiter der Klinik für Heimtiere, Reptilien und Vögel der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover sagt: „Jungvögel und junge Eichhörnchen sind, wenn sie unverletzt sind, grundsätzlich dort zu lassen, wo sie gefunden wurden. Selbst bei sehr guter Pflege durch den Menschen sind ihre Überlebenschancen erheblich schlechter als bei Aufzucht durch die Eltern.“ Die Eltern befinden sich in der Regel in der Nähe und kümmern sich um ihren Nachwuchs. Hilfe ist erst angeraten, wenn Tiere verletzt sind oder, nach einer sehr langen, ruhigen Beobachtungsphase, wenn sehr sicher ist, dass die Jungtiere von ihren Eltern verlassen wurden.
Gesetzliche Vorgaben
Grundsätzlich gilt: Nach dem Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) ist es verboten, geschützte Tiere, zu denen beispielsweise Vögel, Igel oder Eichhörnchen zählen, aus der Natur mitzunehmen. Wildtiere dürfen ihrem Lebensraum vorübergehend entnommen werden, wenn sie krank oder verletzt sind. Die Verantwortung für das Tier trägt – auch finanziell – ab diesem Zeitpunkt die Person, die das Tier mitgenommen hat. Es gibt kein staatlich finanziertes System für die Versorgung verletzter Wildtiere. Sobald sie genesen sind, müssen die Tiere unverzüglich wieder in die Freiheit entlassen werden. Die Aufnahme streng geschützter Arten, zu denen beispielsweise Weißstörche oder Feldhamster zählen, ist unverzüglich der Unteren Naturschutzbehörde zu melden.
Welches Verhalten ist richtig?
• Eine Handlungshilfe hier als Information: weiterlesen
Halten Sie grundsätzlich ausreichenden Abstand zu jungen Wildtieren, sodass die Elterntiere sich trauen, zurückzukommen. Wenn Sie den Verdacht haben, dass die Tiere verletzt sind und Hilfe benötigen, beobachten Sie sie mehrere Stunden, bis Sie sich wirklich sicher sind.
• Sind die Tiere nicht auffällig krank, lassen Sie sie bitte in Ruhe. Bitte nehmen Sie nur eindeutig kranke und offensichtlich verletzte Tiere mit und bringen sie in eine Tierarztpraxis oder eine Pflegestelle. Da ihre Überlebenschancen sinken, wenn sie der Natur entnommen werden, nehmen Sie sie im Zweifelsfall nicht mit und vertrauen der Natur, auch wenn dies im Einzelfall bedeuten kann, dass ein Jungtier zur Beute für andere Tiere wird.
• Setzen Sie Tiere, die auf der Straße sitzen, möglichst an den Rand, an Hecken oder an Bäume.
• Melden Sie sich, wenn Sie denken, ein Tier ist verletzt, trotzdem vorher telefonisch bei einer Tierarztpraxis oder einer Pflegestelle, um sich beraten zu lassen. Ist weder eine Tierarztpraxis oder Pflegestelle erreichbar, wenden Sie sich gegebenenfalls unter der Rufnummer 112 an die örtliche Feuerwehr. In vielen Städten und Landkreisen haben Feuerwehren eine Tierrettungseinheit eingerichtet, deren Mitglieder im fachgerechten Umgang und Transport der Tiere entsprechend geschult sind.
• Ein einmal entnommener Jungvogel kann zwar zurückgesetzt werden, die Entnahme bedeutet für das Tier aber großen Stress und stellt ein Risiko dar. Es sollte immer vermieden werden, ein Wildtier unnötig aus seinem Lebensraum zu entnehmen.
• Nicht jedes verletzte Tier kann gerettet werden. In der Tierarztpraxis oder der Pflegestelle schätzen Fachleute objektiv die Überlebenschancen der Tiere ein. Besteht keine ausreichende Chance, das Tier wieder in die Natur entlassen zu können, ist es grundsätzlich tierschutzgerechter, das Tier zu euthanasieren.
• Wildtiere sind keine Familienmitglieder! Haben Sie Respekt vor der Natur und lassen Sie Wildtieren entsprechend ihrer Bedürfnisse ihre Freiräume! Fehlprägungen auf den Menschen bedeuten oft lebenslanges Tierleid!
• Für Tiere, für die Sie Verantwortung übernommen haben, können Sie an verschiedenen Stellen Hilfe suchen. Die Verantwortung bleibt aber bis zu einer eventuellen Übergabe bei Ihnen.
Waldohreulen brüten gerne in hohen Nadelbäumen in Gärten. Diese junge Waldohreule in der Ästlingsphase wird auch außerhalb des Nestes nachts von ihren Eltern versorgt.
Junge Eichhörnchen folgen bei ihren ersten Ausflügen aus dem Kobel oft Menschen, da sie diese noch nicht als Bedrohung erkennen. Das müssen sie erst von ihrer Mutter lernen. Man sollte sich zügig entfernen und die Junghörnchen nicht anfassen oder gar mit ihnen spielen.
Dieser junge Haussperling ist von besorgten Tierfreunden unnötig mitgenommen worden. Das er sich außerhalb des nestes aufhält ist normal. Er wird von den Eltern weiter versorgt.
(Fotos: Dr. Brandes)
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